Die Erfindung des Gotteskastens
„Was ihr einem dieser meiner geringsten Brüder getan habt, …“
Die Menschen verstanden die Welt nicht mehr: Waren die Almosen für die Armen und Ablassbriefe, mit denen sie sich für teures Geld ihr Seelenheil erkauft hatten, auf einmal wertlos? Der Rostocker Franziskaner Stephan Kempe, der seit 1523 in Hamburg lutherisch predigte, ließ keinen Zweifel daran, dass der Mensch allein durch den Glauben und die Gnade Gottes gerechtfertigt sei.
Arme waren auf Almosen angewiesen
Die Reformatoren erinnerten die Menschen an das zentrale christliche Gebot der Nächstenliebe. „Was ihr einem dieser meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“, heißt es im 25. Kapitel des Matthäus-Evangeliums. Von diesem Geist getragen, gründeten die Bürger des Kirchspiels St. Nikolai im August 1527 einen Gotteskasten, für den zwölf Diakone verantwortlich waren, die die darin gesammelten Spenden an die Bedürftigen verteilten. Außerdem wurden Pastoren, Kirchenbedienstete und Lehrer aus dem Gotteskasten bezahlt. Wenige Monate später folgten die übrigen Hauptkirchen diesem Beispiel, so dass bald insgesamt 48 angesehene Bürger für die neu geordnete Sozialarbeit zuständig waren und zugleich wesentlich zur Verbreitung reformatorischer Ideen beitrugen.