

Natur & Gesundheit
Die Freuden des Herbstes
Bevor es richtig Winter wird, erstrahlt im Oktober die Natur noch einmal in voller Pracht:
zarte Herbstanemonen, leuchtend rote Berberitzen in den Büschen, prächtige Astern,
saftige Äpfel, rot glühendes Laub und prallgelbe Quitten.
„Weh mir, wo nehme ich, wenn
Es Winter ist, die Blumen, und wo
Den Sonnenschein,
Und Schatten der Erde?“ (…)
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Der Herbst – grieselgrau?!
Dagegen hat der November keinen wirk-
lich guten Ruf. Kommt er doch meist
spätestens in der zweiten Hälfte mit
Nebel, Nieselregen und Sturm daher. Der
Dichter Friedrich Hölderlin hat es sehr
eindrucksvoll beschrieben:
Und so kleiden wir uns in Erwartung
grau-trüber Tage in graue Pullis und Ja-
cken, holen die wasserdichten Schuhe
aus dem Sommer-Quartier und ziehen
uns die Mützen tief ins Gesicht. „Igitt,
November!“, sagen wir, kneifen ver-
drossen die Augen zusammen und
verschließen uns vor dem, was der
Spätherbst noch zu bieten hat.
Sehen, schnuppern, fühlen
Aber öffnen wir uns doch einfach
mal dem, vor dem wir fliehen
wollen. Öffnen wir die Augen,
lassen wir unsere Nase schnup-
pern und die Ohren lauschen.
Begegnen wir dem Herbst mit
allen Sinnen. Vor ein paar Tagen
fand ich am Straßenrand eine noch
verschlossene Kastanie. Die stachelige
Außenhaut hatte schon viele braune und rostfarbene Flecken.
Ich wollte sie schon in hohem Bogen auf die nahe Wiese
schleudern, als ich einem inneren Impuls folgte und sie öffne-
te. Seither „wohnt“ eine wunderschöne, ebenmäßig geformte
rotbraune Kastanie in meiner Jackentasche und macht mir
Freude als Handschmeichler, der nach neu-
esten Erkenntnissen der Psychologie zur
Entspannung beitragen kann. Und
welch’ ein Rascheln erfreute plötz-
lich meine Ohren? Das Herbstlaub
wirbelte, vom Wind getrieben, um
meinen Kopf und übermütig stapfte
ich in einen Laubhaufen.
Letzte Gaben des Sommers
Und wie wunderschön und filigran sind die
Fäden der Spinnennetze des Altweibersommers, wenn sich die
langen Reihen klitzekleiner Tautropfen auf ihnen sammeln?
Sie hingen an einem alten Apfelbaum, unter dem einige ver-
schrumpelte Äpfel lagen. Sie rochen leicht nach vergorenem
Most und spendeten noch der einen und anderen mutigen Bie-
ne ihren Saft als letzte Gabe des Sommers. Nehmen wir doch
all‘ diese Bilder, Gerüche und Empfindungen in uns auf und
wärmen uns nicht nur am geheizten Zimmer, sondern auch an
der berechtigten Hoffnung, dass nicht nur aus Kastanien und
Apfelkernen im Frühjahr neues Leben entsteht.
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Andrea Vogt-Bolm