Glockenturm_07-08_2015_FB - page 4

RundumdenGlockenturm · Juli/August 2015
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Momentmal
Was istamEnde stärker, derTododerdie
Liebe? Das ist wohl eine der ältesten
Fragen der Menschheit, auf jeden Fall
hat diese Frage Menschen zu allen Zei-
tenbewegt. Immerwieder istdieseFrage
bedacht worden: in denWeltreligionen,
in der Musik, in der Dichtung, in alten
Mythen.
Die zeitgenössischenMenschen tun sich
schwerer mit der Beantwortung dieser
Frage als unsere Vormütter und Vorvä-
ter. Der zeitgenössische Mensch fühlt
sich eher wie gespalten bei der Beant-
wortung der Frage: Was ist stärker, der
TododerdieLiebe?
ImmermehrMenschenzweifeln. Siehal-
tendas einewiedas andere fürmöglich.
Der PhilosophErnst Blochhat es sinnge-
mäß einmal so gesagt: Hoffnung sei die
Überwindung tiefsten Zweifels. Und der
Zweifel der Menschen heutzutage ist –
Gott sei Dank – nicht stark genug, als
dass sie ihreHoffnungaufeinenSiegder
Liebebereitwärenzubegraben.
Von Liebe, Tod, Hoffnung und Zweifel
spricht zu uns auch der griechischeMy-
thos von Orpheus, der für uns deshalb
interessant ist, weil sich in ihm einChris-
tus-Mythos verbirgt:Orpheus liebt Eury-
dike. Durch den Biss einer Schlage wird
EurydikedemOrpheusgenommen.Eury-
dikemusshinab indieUnterwelt.Der lie-
bende Orpheus kann nicht ruhen. Er
nimmt die Lyra, spielt darauf und folgt
Eurydike nach in die Unterwelt in der
Hoffnung, sie wiederzufinden. Auf die-
sem schweren Weg muss er Gefahren
überwinden, bis er schließlich von dem
Fährmann Charon über den Todesfluss
gesetzt wird. Die Götter der Unterwelt
sind sobewegt vondieserüberwältigen-
den Liebe, dass sie dem Orpheus eine
Chance bieten, Eurydike wiederzusehen
und sie zurückzuführen in das Leben.
AberdieGötterprüfenOrpheusund las-
sen ihnwissen, erdürfeaufdemWegzu-
rück indasLanddesLebens sichkeinein-
zigesMal nach Eurydike umdrehen. Der
liebendeOrpheus ergreift diese Chance.
Er macht sich auf denWeg in die Ober-
welt. Je weiter er kommt, desto größer
wird sein Zweifel, ob seineGeliebte ihm
wirklich folgt. Immer quälenderwird für
OrpheusdieseFrage, dennerkannkeine
Schritte hinter sich vernehmen. Schließ-
lichdreht er sichumund verliert Eurydi-
ke für immer.
Von dem Kirchenvater Clemens, der in
Alexandrien seit 175n. Christus eineKa-
techetenschule leitete und bis heute in
der Ostkirche höchst angesehen ist, wis-
senwir, dass er in demOrpheus-Mythos
das innerste Thema des Evangeliums er-
kannt hat. Er sah in Eurydike keine Ein-
zelperson, sondern das Schicksal der
Menschheit, die unter der Todeswunde
leidet. In Orpheus erkannte er Christus,
der die dem Tod verfallene Menschheit
liebt.AuchChristussteigtausLiebe indie
Unterwelthinab („hinabgestiegen indas
Reich des Todes“). Aber anders als Or-
pheusdrehtChristus sichnichtum.
DennderNachfolgeentspricht nicht das
Umsehen, sondern Christus blickt voran.
Und soheißtes imEvangelium:
„Wer sei-
neHandandenPflug legt und sieht zu-
rück,der istnichtgeschickt fürdasReich
Gottes ...“ (Lk. 9,62).
PastorinHannaHirt
LiebeMenschen im
undumdasHospital!
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