Rund um den Glockenturm · November 2016
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Gesellschaft
Wenn Ernst Westphal von der Fliegerei und seiner
Zeit als Pilot erzählt, strahlen seine Augen. „Schauen
Sie sich dieses Bild an. Dann sehen Sie, warum ich
das Fliegen geliebt habe!“, erzählt er lächelnd und
präsentiert stolz ein Schwarzweiß-Foto, das eine
wunderschöne verschneite Berglandschaft zeigt. Stets
fotografierte der Pilot aus dem Cockpit. So ent-
standen auf seinenmehr als 1000 Flügen die schöns-
ten Landschaftsbilder aus der Vogelperspektive.
Der 93-Jährige hat jedes seiner Fotos beschriftet und
hütet sie wie seinen Augapfel. All diese schönen
Erinnerungen, die vor 80 Jahren begannen, haben
Ernst Westphal in unsere „Kleine Stadt“ begleitet.
Schon mit 13 Jahren nahm Ernst Westphal als Teen-
ager die ersten Flugstunden auf dem Flugplatz in
Fischbek. Wenig später erwarb er die Piloten-Lizenz
zum Fliegen von Segelflugzeugen. Dann brach der
Krieg aus. Nach der Ausbildung als Maschinenbau-
techniker meldete sich Ernst Westphal – um den Ein-
zug zur Infanterie zu umgehen – freiwillig zur Luft-
waffe. Er absolvierte an der Flugzeugführerschule
der Wehrmacht die Aus-
bildung zum Flugzeugfüh-
rer und bildete bis Ende
des Krieges junge Piloten
aus. Die Flugleidenschaft
überdauert die Kriegsjahre. Als 1955 die Fliegerei in
Deutschland wieder erlaubt war, begann auch Ernst
Westphal sofort zu fliegen und zwar beim „Ham-
burger Verein für Luftfahrt“ in Hamburg-Boberg.
„Sonderbarerweise heißt es ja beimFliegen
Man geht
über Land
“, erzählt Ernst Westphal lachend. „Nach
der Landung tauschten wir Piloten uns dann darüber
aus, was es zu sehen gab. Da hatte Ernst Westphal
immer eine Menge zu erzählen.
Seine Flüge führten ihn nach
Helgoland, nach Bremen, in den
Harz und zu vielen anderen
schönen Orten in Deutschland.
Als der Verein später einen Mo-
torsegler kaufte, erfüllte sich für
Ernst Westphal ein weiterer
Traum. Mit dem Motorflugzeug
konnte er bis nach Österreich
fliegen. Matterhorn, Weisshorn,
Zugspitze. Die Flüge durch das
Gebirge waren für ihn die Höhe-
punkte der Fliegerei.
Rückblickend könnte man wohl
sagen, dass der heute 93-Jährige
70 Jahre seines Lebens in der
Luft verbracht hat. Was ist der
Zauber, der Reiz, die Faszination
der Fliegerei? „Natürlich sind die Perspektive und
die Aussicht unvergleichlich schön. Aber es ist
mehr. Wenn Sie das Vibrieren der Motoren spüren,
den Steuerknüppel in der Hand haben und dann
den Erdboden verlassen ...“ Ernst Westphal stockt.
Er sucht nach den passenden Begriffen, aber es
fehlen ihm einfach die Worte, die Glücksgefühle zu
beschreiben.
n
Adrienne Friedlaender
70 Jahre in der Luft
Für Ernst Westphal ist das Glück
über denWolken grenzenlos